Wettlauf gegen Überflutung von Dresdner Unterwelt

Nach dem Einsturz der Carolabrücke drohte dem unterirdischen Abwassersystem eine Katastrophe.

Beteiligte Systeme und Technologien

Herausforderung

In Dresden präsentierte sich weiterhin ein Bild der Zerstörung, als die TV-Kanalinspektion der Stadtentwässerung am rechtselbischen Neustädter Ende der eingestürzten Carolabrücke mit der Begutachtung der unterirdischen Schäden begann.

Nach dem Brückeneinsturz am 11. September diesen Jahres wurden angesichts des nahenden Elbehochwassers schnelle Maßnahmen erforderlich, um eine Katastrophe im Kanalnetz der Dresdner Neustadt abzuwenden. Die Situation am Neustädter Brückenende erwies sich als besonders kritisch, da dort der Neustädter Abfangkanal in einem unterirdischen Regenüberlaufbauwerk mündet. Bei starkem Regen wird stark verdünntes Abwasser durch zwei Auslasskanäle in die Elbe geleitet, die bei Hochwasser durch Stahlschieber verschlossen werden müssen, um eine Überflutung des Neustädter Abwassernetzes zu verhindern.

Am ersten Wochenende nach dem Einsturz wurde die Lage bedrohlich. Nach Beginn der Abbrucharbeiten am Neustädter Ende konnte am Sonntagmorgen mit den Sicherungsarbeiten begonnen werden - zu diesem Zeitpunkt hatte die Elbe bereits die erste Alarmstufe bei vier Metern überschritten. Der Verschluss der Hochwasserschieber musste bei 4,80 Metern gewährleistet sein. Während ein Schieber noch elektrisch geschlossen werden konnte, wurde beim zweiten aufgrund beschädigter Kabel eine manuelle Bedienung erforderlich. Diese wurde jedoch durch aufgetürmte Betontrümmer und Bewehrungsstähle der Brücke zunächst verhindert, was angesichts des weiter steigenden Elbpegels eine kritische Situation darstellte.

Lösung

Eine temporäre Lösung bot sich durch eine spezielle Gummiblase an, die für Kanäle mit einem Meter Durchmesser geeignet ist. Teamleiter Würfel koordinierte die Arbeiten mit seinen Kanalspezialisten Alexander Würzburg und René Mehlhorn, wobei sie unerwartet vom Schweißer Dirk Wyscik unterstützt wurden, der zufällig vor Ort war und sich nach Beschaffung seiner Ausrüstung sofort den Arbeiten anschloss.

Unter widrigen Wetterbedingungen wurde die Gummiblase in den bereits stark wasserführenden Hauptkanal eingebracht und im Regenüberlaufbauwerk mit Druckluft gefüllt. Die Sicherung erfolgte durch zwei eigens gefertigte Stahlträger. Die Abdichtung konnte gegen 16 Uhr abgeschlossen werden - gerade noch rechtzeitig, da der Wasserstand bereits die oberen Ränder der Wathosen erreichte.

Am nächsten Morgen ermöglichte ein Bagger der Abbruchfirma die Beräumung der Schachtabdeckung, sodass der permanente Hochwasserschieber manuell geschlossen und die provisorische Lösung außer Betrieb genommen werden konnte. Dies war dringend erforderlich, da der Elbpegel in der Folge auf über sechs Meter anstieg.

Ergebnis

Ein Kanalinspektionsfahrzeug mit ferngesteuertem Kamerasystem untersucht die Kanalisation unterhalb der Carolabrücke. Die dabei entstehenden Aufnahmen werden anschließend von Spezialisten im Büro sorgfältig analysiert, um den notwendigen Umfang von Instandsetzungs- und Reinigungsarbeiten zu bestimmen. Eine besondere Herausforderung stellen dabei die teilweise mit Abbruchschutt gefüllten Auslasskanäle dar. Dieser Schutt gelangte durch verschobene Gullydeckel in das System. Die Situation wird durch die geringe Überdeckung der Kanäle zusätzlich erschwert. Bemerkenswert ist, dass die Oberfläche trotz der enormen Belastungen durch Sprengungen sowie schwere Bagger und Bergepanzer intakt geblieben ist. Dennoch können erhebliche Schäden am Kanalsystem nicht ausgeschlossen werden. Erst nach vollständiger Auswertung der Inspektionsergebnisse wird das genaue Ausmaß möglicher Beschädigungen feststellbar sein.

Ausblick

Am 11. Dezember hat der mit der Untersuchung beauftragte Brückenexperte Prof. Steffen Marx von Institut für Massivbau der TU Dresden ein Gutachten vorgelegt. Danach muss die Spannbetonbrücke mit allen drei Zügen komplett abgerissen werden. Als Hauptgrund sieht er eine wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion durch Feuchtigkeitseintrag während der Bauphase, verstärkt durch Ermüdung der Spannstähle. Eine Kombination aus besonderer Temperaturbeanspruchung und Verkehrslast auf der Brücke führte zu den entscheidenden Spanndrahtbrüchen, ist der Gutachter überzeugt. Nach dem Abriss soll die Dresdner Carolabrücke neu gebaut werden.

Unternehmensvorstellung

Die Stadtentwässerung Dresden GmbH ist der Dienstleister für die Abwasserentsorgung in Ostsachsen. Das Leistungsspektrum umfasst die Abwasserbehandlung, Umweltanalytik sowie die Planung und den Bau von Abwasseranlagen. Mit unserer zentralen Kläranlage Dresden-Kaditz und dem rund 1.850 km langen Kanalnetz versorgen sie die 690.000 Kunden in der Region.

Empfehlung

Zum Einsturz der Dresdner Carolabrücke ist unter Federführung des Autor dieses Berichts Peter Hilbert ein Buch erschienen:

Der Brückeneinsturz – Dramatische Ereignisse, Geschichte und Geschichten rund um die Carolabrücke und andere Dresdner Elbebrücken“, Verlag DDV Sächsische Schweiz/Osterzgebirge GmbH.

Es umfasst 98 Seiten und kostet 18 Euro und kann im Buchhandel unter der ISBN-Nummer 978-3-936642-34-6 oder per E-Mail bestellt werden: TP.Freital@ddv-mediengruppe.de